"Mama ich will da nicht hin"

Als Hannah Jordan 18 Jahre alt ist lernt sie Alexander W. [1]kennen. Zu Beginn überschüttet er sie mit Komplimenten, Aufmerksamkeiten und Liebe. Sie geht eine Beziehung mit ihm ein. Doch die Dynamik zwischen den Beiden verändert sich schnell: Alexander W. nötigt Hannah Jordan zunehmend seine ausgeprägten BDSM- und Tierfetische mit ihm auszuleben, ihn zu dominieren und zu erniedrigen. Schnell wird ihr klar: Das ist nicht der Partner, mit dem sie ihr Leben verbringen will. Doch im Juni 2019 wird sie unerwartet schwanger. Aus Angst, ihr Kind könnte als Trennungskind aufwachsen teilt sie das Sorgerecht mit dem Vater und führt die Beziehung fort. Bis sie im August 2021 nicht mehr kann und ihn verlässt. Seitdem werden ihr und das Leben ihres Sohnes bestimmt von einem Verfahren, das den Umgang zwischen Vater und Kind regeln soll. TERRE DES FEMMES hat mit ihr gesprochen. Das Interview führte Johanna Wiest, Referentin für Häusliche und Sexualisierte Gewalt.

TDF: Frau Jordan, wie würden Sie die Beziehung zu Ihrem Ex-Partner beschreiben?

Hannah Jordan: Als ich damals mit dem Vater meines Kindes zusammenkam, war ich sehr unerfahren und unsicher, habe aber versucht mich auf seine sexuellen Vorlieben einzulassen. Mir wurde dann schnell klar, dass ich das alles nicht will. Aber da war es schon zu spät. Er hat mich im weiteren Verlauf unserer Beziehung mehrfach zu sexuellen Handlungen genötigt, auch während der Schwangerschaft. Bis wenige Tage vor der Geburt wurde ich von ihm zu sexuellen Gefälligkeiten gezwungen. Bis ich nicht mehr laufen konnte. Ich sagte ihm: „Ich kann dich nicht bis zum Atemstillstand in Einschweißfolie einwickeln, weil ich zu dick bin. Ich habe eine Bauchdeckenspaltung. Mein Sohn liegt direkt unter der Haut. Ich habe keine Muskeln mehr. Bitte, ich möchte nicht. Nein, das musste gemacht werden.“ Und trotzdem ging er während der Schwangerschaft fremd und hatte Sex mit Menschen, die sich als Tiere verkleiden und auch mit richtigen Tieren. Auch direkt nach der Geburt hat er mich nicht in Ruhe gelassen. Im Wochenbett. Es hieß immer: Wann kannst du wieder? Wann geht es wieder los? Die Beziehung hat mich schwer traumatisiert.

TDF: Wie war die Situation nach der Geburt Ihres gemeinsamen Sohnes, die schließlich zur Trennung geführt hat?

Hannah Jordan: Er hat einfach immer und immer mehr von mir gefordert und benutzte unseren Sohn und meine finanzielle Abhängigkeit als Druckmittel, um mich weiter zu sexuellen Handlungen zu nötigen. Die Forderungen wurden immer größer, immer stärker, immer brutaler, immer unhaltbarer und unmenschlicher. Er sagte: „Du möchtest doch nicht finanziell ohne mich dastehen“. Ich war damals noch Studentin.  „Du kannst dir ein Kind doch gar nicht leisten ohne mich. Mach es deinem Sohn zuliebe“. Ein Jahr und sieben Monate nach der Geburt meines Sohnes habe ich ihn dann verlassen. Zu diesem Zeitpunkt ging es mir psychisch schon länger sehr schlecht.

Nach der Trennung und nach allem, was sie durchgemacht hatte, wollte Hannah Jordan ihren Ex-Partner am liebsten nicht mehr sehen. Trotzdem ermöglichte sie den Kontakt zwischen Vater und Kind, auch aus Angst ihren Sohn zu verlieren. Dabei kam es immer wieder zu Grenzüberschreitungen, spontanen Absagen von Besuchen und zunehmend kontrollierendem Verhalten durch den Vater des Kindes.

TDF: Wann haben Sie sich wegen der Probleme mit dem Vater Ihres Kindes erstmals an die Behörden gewandt und wie war die Reaktion?

Hannah Jordan: Einige Monate nach der Trennung. Da wurde mir zu verstehen gegeben, dass das Jugendamt mit Beziehungsproblemen nichts zu tun hat und nur für Kindschaftssachen zuständig ist. Mir wurde gesagt ich müsse das trennen - die Beziehungsebene und die Kindschaftssache. Das eine habe mit dem anderen nichts zu tun. Auch wenn er mich sexuell missbraucht hat, könne er trotzdem ein guter Vater sein. Das Jugendamt Emden Wittmund hat mir vorgeschlagen ich solle mich doch mit ihm an einen Tisch setzen, mit dem Menschen, der mich missbraucht hat, mit dem Menschen, vor dem ich Angst habe. Und man hat mir gesagt man wäre enttäuscht, dass ich ein persönliches Gespräch ablehne und mir eine Anwältin genommen habe. Bezüglich des Vaters war dem Jugendamt hingegen immer wichtig darauf hinzuweisen, wie viel Mühe er sich gibt.

TDF: Warum hatten Sie sich denn entschieden eine Anwältin hinzuzuziehen?

Hannah Jordan: An einem seiner Umgangswochenenden wollte mein Ex-Partner unseren Sohn mit zu seinen Eltern nach Bonn nehmen. Ich war an diesem Wochenende bei meinem Freund, meinem jetzigen Ehemann. Als mein Ex-Partner das rausfand, hieß es Fräulein, wenn du nicht schleunigst in deine eigene Wohnung zurückfährst, bring ich dir das Kind nicht wieder. Und ich habe gesagt das mache ich nicht. Ich habe morgen einen Termin hier in der Nähe. Ich schlaf heute hier auch mit dem Kind. Er hat mir meinen Sohn nicht wieder gebracht. Ich habe dann den Notdienst von Polizei und Jugendamt angerufen, bin mit meinem neuen Partner um Mitternacht noch in die 40 Kilometer entfernte Stadt gefahren und habe meinen Sohn abgeholt. Das vergesse ich niemals: „Fräulein. Wenn du nicht gefälligst zurück in deine Wohnung fährst, gebe ich dir dein Kind nicht wieder.“

Nachdem ihr Ex-Partner gedroht hatte den Sohn nicht mehr zurückzubringen, weigerte sich Hannah Jordan weiterhin Kontakt zwischen ihm und ihrem Kind zu ermöglichen. Daraufhin leitete er ein umgangsrechtliches Verfahren ein. Vom Amtsgericht Wittmund wurde ein begleiteter Umgang mit einem/einer unparteiischen ErzieherIn angeordnet.

TDF: Wie hat ihr Sohn auf die gerichtlich bestimmten Umgänge mit seinem Vater reagiert und wie geht es Ihnen dabei?

Mein Sohn zeigte nach diesen Treffen zunehmend auffällige Verhaltensweisen. Er hat sich auf der Rückfahrt immer mit seinem Stofftier geschlagen. Er hat teilweise kein Abendbrot mehr gegessen. Er hat nicht mehr mit mir geredet. Hat apathisch an die Wand gestarrt. Ich habe alles dokumentiert. Ich habe sogar dokumentiert, dass der Kindsvater ihn mal völlig durchnässt und ungewickelt, ungewaschen mit zwei verschiedenen Schuhen vom Umgang am Wochenende zurückgebracht hat. Ich habe das sogar gefilmt, damit mir jemand glaubt, wie ich mein Kind entgegengebracht bekommen habe. „Aber nein, der Vater bemüht sich“!

Ich habe Tonaufnahmen davon angefertigt wie mein Sohn sich gegen die begleiteten Umgänge wehrt und sogar Geschenke seines Vaters abweist. Er hat gefleht. Er hat gebettelt, auf meinen Arm zu dürfen, er hat gefleht, dass er wieder ins Auto einsteigen darf und nach Hause will. Er will da nicht hin. Nein, ich möchte hier nicht spielen. Ich möchte nicht mit Papa spielen. Nein, nein, nein. Er hat geschrien, geklammert, geheult. Und das war das Schlimmste für mich, weil ich ihm in dem Moment den gleichen Zwang antun muss, wie es mir von meinem Ex-Partner angetan wurde. Weil ich institutionell dazu verpflichtet bin. Weil mir sonst gesagt wird, ich bin nicht kooperativ. Ich führe meinen Sohn jeden Freitag zur Schlachtbank. Ich habe Angst ihn zu verlieren. Und ich habe Angst, dass meine Beziehung zu ihm kaputt geht. Was sage ich ihm denn damit? Ich nötige dich. Und gleichzeitig muss ich dabei auch noch so tun, als wäre das okay für mich, weil sonst beeinflusse ich ihn ja. Dieser Vorwurf wurde mir vom Jugendamt Wittmund, dem Verfahrensbeistand und dem Gutachter gemacht. Die Angst der Mutter überträgt sich auf das Kind. Das Kind kann nicht frei entscheiden, weil die Mutter das Kind manipuliert, hieß es von den „Helfern“.

TDF:  Was waren für Sie, neben den regelmäßigen Umgängen, die Konsequenzen dieses Gerichtsurteils?

Hannah Jordan: Wegen der Angaben meines Ex-Partners bei den Behörden, dass ich psychisch krank sei und unseren Sohn nicht richtig versorgen könne, kommt regelmäßig eine Familienhilfe zu uns. Mein Mann ist im Vorstand einer Jugendhilfeinstitution und ist zuständig für Partizipation und Beschwerdemanagement. Mein Sohn wächst in einem liebevollen Umfeld auf. Trotzdem werden wir beaufsichtigt. Vor Gericht wurde mir angedroht, dass ein Erziehungsfähigkeitsgutachten in Auftrag gegeben wird, wenn ich nicht kooperiere. Natürlich bin ich aufgrund des sexuellen Missbrauchs belastet, aber ich bin nicht psychisch krank. Ich bin selbstständig, habe ein Unternehmen, führe eine siebenköpfige Familie und pflege einen Bauernhof. Die Familienhilfe hat sich sehr gewundert, was sie bei uns soll.

TDF: Wie geht es Ihrem Sohn denn mit dieser Situation?

Hannah Jordan: Er ist sehr, sehr anhänglich und sehr auf mich bezogen. Er sucht Halt und Sicherheit. Die Verantwortung dafür sehen Familiengericht und Jugendamt bei mir und nicht beim Vater. Mein Sohn ist traumatisiert und muss zweimal wöchentlich zu einer Kinderpsychologin, obwohl er erst drei Jahre alt ist. Auch das wurde vom Familiengericht angeordnet. Er soll also an einem Tag pro Woche den begleiteten Umgang mit dem Vater haben, an einem weiteren Tag ist die Familienhilfe bei uns zuhause und dann hat er zwei Termine bei der Kinderpsychologin. Was ist das für ein Leben für einen Dreijährigen? Ich lebe eigentlich das Leben des Gerichtes, gemäß der Willkür dieses Mannes, der da über mein Leben und das Leben meines Sohnes entscheidet. Anders als mein Ex-Partner muss ich nachweisen, dass ich mich um eine Therapie bemühe, ich muss Termine mit der Familienhilfe vereinbaren und habe Fluten von Terminen. Mein Ex-Partner hat natürlich die Einschränkung des begleitenden Umgangs, wird aber sonst nicht weiter überwacht oder gefordert.

TDF: Was ist denn Ihr Eindruck von Ihrem Ex-Mann? Geht es ihm bei dem Verfahren wirklich darum seinen Sohn zu sehen?

Hannah Jordan: Ich habe nicht den Eindruck, dass es ihm darum geht unseren Sohn zu sehen. Außerhalb des Gerichtes meldet er sich nicht. Er hat weder zu Weihnachten noch zu Ostern noch zum Geburtstag jemals ein Paket geschickt für seinen Sohn. Nicht mal eine Karte. Er meldet sich nicht beim Kind. Es geht ihm nur darum sich durchzusetzen und Dominanz auszuüben.

TDF: Ihr Ex-Partner hat Sie während der Beziehung sexuell missbraucht. Haben Sie das zur Anzeige gebracht und wie wirkte sich das auf das umgangsrechtliche Verfahren aus?

Hannah Jordan: Ich habe den sexuellen Missbrauch bei der Polizei angezeigt. Mit Screenshots von WhatsApp Nachrichten kann ich belegen, dass ich meinem Ex-Partner gegenüber mehrfach geäußert habe, dass ich mich sexuell unter Druck gesetzt und genötigt fühle. Aber die Ermittlungen wurden eingestellt. Mir wurde gesagt ich hätte nicht deutlich genug Nein gesagt. Man hat mich auch gefragt, warum ich erst so spät anzeige. Grund war meine Angst, die Verzweiflung und die Überforderung. Ich verstehe nicht, was man als Betroffene noch tun muss. Ich habe unendlich viele Stunden damit verbracht Beweismaterial zu sammeln, habe mir sogar schriftliche Stellungnahmen von Freunden und Familie geben lassen. Das wurde alles der Polizei vorgelegt, aber es hat nicht gereicht.

Wegen des Missbrauchs in der Beziehung mit meinem Ex-Partner habe ich eine Essstörung entwickelt, angefangen mich selbst zu verletzen. Mein Sohn zeigt Verhaltensauffälligkeiten. Aber der Kontakt zum Vater wird trotzdem immer priorisiert. Unser Wohlergehen zählt dabei nicht. Mir fehlen einfach die Worte zu diesem institutionellen Machtmissbrauch und diese institutionelle Verharmlosung von sexueller und sexualisierter Gewalt in der Partnerschaft.

TDF: Wie fühlen Sie sich bei all dem Frau Jordan?

Hannah Jordan: Ich fühle mich unerträglich machtlos und ausgeliefert. Mein Leben hängt davon ab, wie das Gericht bzgl. der Umgänge weiterhin entscheidet. Für einige Monate waren sie ausgesetzt, weil mein Sohn noch sehr jung ist. Nun sollen aber wieder begleitete Umgänge durchgeführt werden. So hat mein Ex-Partner immer eine Möglichkeit in mein Leben und das Leben meines Sohnes einzugreifen.

So entmachtet wie jetzt habe ich mich selbst während des Missbrauchs in der Beziehung mit meinem Ex-Partner nicht gefühlt. Ich werde zu Hause kontrolliert. Ich muss immer wieder in die Beweisleistung treten, dass ich eine gute Mutter bin. Ich muss meinen Sohn zu etwas nötigen, was weder er noch ich wollen. Meine neue Beziehung wird in Frage gestellt. Ich muss regelmäßig gegenüber alten, weißen Männern intime, traumatische Details aus meinem Leben preisgeben. Aber ich darf nicht zu instabil wirken, weil ich dann als labil eingestuft werde. Aber auch nicht zu selbstbewusst, weil dann ist es nicht so schlimm gewesen. Ich muss eine Rolle spielen und darauf achten, wie ich mich verhalte. Was ich sage, wie ich mich präsentiere. Das nimmt in meinem Leben viel zu viel Raum ein. Wie gesagt, ich bin selbstständig. Ich bin wieder schwanger. Ich habe eine Familie. Ich muss bald umziehen, weil unser Haus zu klein ist. Es gibt so viel in meinem Leben, was ich tun kann, was ich tun möchte. Aber den Großteil frisst dieser schreckliche Prozess. Über mich wird streng geurteilt, während für meinen Ex-Partner, seine Fetische und seine Unzuverlässigkeit viel Verständnis aufgebracht wird. Ich habe das Gefühl keine Rechte zu haben, nicht gehört zu werden.

(1) Name von der Redaktion geändert

 

 

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