Das „Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen“
Am 22.07.2017 trat das Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen (GzBvK) in Deutschland in Kraft. Die darin befindlichen Regelungen beziehen sich nicht nur auf Eheschließungen in Deutschland. Sie schließen auch im Ausland geschlossene Ehen mit Minderjährigen ein. Im Kern hat das Gesetz festgelegt:
Ehen in Deutschland dürfen ...
... ausnahmslos erst ab 18 Jahren geschlossen werden. Die vorherige Möglichkeit einer „Ausnahmegenehmigung” für 16- oder 17-Jährige entfällt.
... auch nicht „informell” mit Minderjährigen geschlossen werden. Das heißt religiöse oder traditionelle Verlobungen oder Trauungen vor dem 18. Geburtstag sind auch verboten.
Ehen, die im Ausland geschlossen wurden...
... und bei denen mindestens ein Ehegatte unter 16 Jahre alt war, sind in Deutschland nichtig und daherunwirksam (§ 1303 Abs. 1 Satz 2 BGB).
... und bei denen mindestens ein Ehegatte zwischen 16 und 18 Jahre alt war, sind in Deutschland aufhebbar (§ 1314 Abs. 1 Nr. 1 BGB).
Nähere Informationen zu den Bestimmungen des Gesetzes können Sie in der entsprechenden Broschürenachlesen
Mythen
„Nicht jede Frühehe ist automatisch schlecht. Die Mädchen sind früh ´abgesichert´.“
„Eine verordnete Nichtigkeit der Ehe verletzt den verfassungsmäßig garantierten Schutz der Ehe.“
„Nur Einzelfallentscheidungen garantieren das individuelle Wohl des Kindes.“
Rund um das Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen ranken sich viele Mythen.
TERRE DES FEMMES möchte eben diese Mythen aufgreifen und über das Gesetz aufklären. Daraus entstanden ist die folgende Informationsschrift, die kurze Antworten auf häufige Fragen und Thesen bietet und anschauliche Fallbeispiele aufführt.
Informationsschrift „Mythen rund um das Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen“
Chronologie
Heute
Bis Juni 2024 muss die Bundesregierung entsprechend den Forderungen des Bundesverfassungsgerichtes handeln, sonst entfällt die Nichtigkeitsregelung. TDF hat Forderungen zu den Änderungen am Gesetz formuliert und intensiviert die Lobbyarbeit.
Februar 2023
Im Februar 2023 entschied das Bundesverfassungsgericht (BVerfG), dass einegenerelle Nichtigkeit von Eheschließungen mit unter 16-Jährigen verfassungskonform ist, sofern das GzBvK in zwei Aspekten nachgebessert wird.[i]
Die vom BVerfG geforderten Nachbesserungen beziehen sich auf die Folgen einer für unwirksam erklärten Ehe: Zum einen müssen bei der Nichtigkeit einer Ehe die Unterhaltsansprüche für die betroffene(n) Person(en) geregelt werden. Zum anderen soll festgelegt werden, was passiert, wenn die minderjährige Person mit Erreichen der Volljährigkeit an der Ehe festhalten möchte.
August 2020
Drei Jahre nach Inkrafttreten des GzBvK wurde die offizielle Evaluierung der Bundesregierung veröffentlicht.[ii] Diese offenbarte, dass bundesweit in nur 11 Fällen eine Ehe aufgrund der Minderjährigkeit eines der Ehepartner zum Zeitpunkt der Eheschließung aufgehoben werden konnte. Grund für diese niedrige Zahl ist unter anderem die sich in der Praxis entwickelte Rechtsprechung, dass Eheschließungen von minderjährigen EU-BürgerInnen mit Verweis auf die Verletzung der EU-Freizügigkeit und Vorliegen einer schweren Härte nicht aufgehoben werden. Von 140 gestellten Anträgen auf Eheaufhebung betrafen viele z.B. Bulgarien, Rumänien und Griechenland.
Zusätzlich wurde in 1092 Fällen von einem Antrag auf Eheaufhebung abgesehen, da der mittlerweile volljährig gewordene Ehegatte die Fortsetzung der Ehe bestätigte. Eheschließungen, bei denen mindestens ein Ehegatte unter 16 Jahre alt war, werden zudem kaum erfasst, da sie als nichtig und somit unwirksam gelten.
September 2019
TERRE DES FEMMES führte zwei Jahre nach Inkrafttreten eine Umfrage zur Umsetzung des Gesetzes und zum Stand der Eheaufhebungen durch – das Ergebnis war ernüchternd. Von insgesamt 813 gemeldeten Fällen wurden lediglich 97 Verfahren zur Eheaufhebung eingeleitet. Bei den bis dato insgesamt 53 Urteilen wurde die Ehe nur in 10 Fällen tatsächlich aufgehoben.[iii]
Zudem ergab die Umfrage, dass die Zuständigkeit der Behörden für den Antrag auf Eheaufhebung in den Bundesländern variiert. In einigen Bundesländern, wie bspw. Baden-Württemberg oder Sachsen, ist zentral nur eine Behörde zuständig. In anderen Bundesländern ist hingegen jeder Landkreis, jede kreisfreie Stadt oder jedes Standesamt verantwortlich.
Der Gesetzgeber war in seiner Einschätzung zu den Gesetzesfolgen von etwa 1.200 einzuleitenden Verfahren ausgegangen[iv] – 97 Verfahren im Vergleich zu den erwarteten 1.200 sind eine ernüchternde Bilanz.
Juli 2017
Am 22. Juli 2017 verabschiedete der Bundestag das Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen, welches den Minderjährigenschutz erheblich verstärken sollte.
Mit dem Beschluss des neuen Gesetzes wurde u.a. das Mindestheiratsalter in Deutschland auf 18 Jahre ohne Ausnahme festgelegt.
Mai 2016
Bis zum 02. Mai 2016 unterschrieben 108.811 Personen die von TDF initiierte Petition.
Zu den ErstunterzeichnerInnen gehörten unter anderem der Deutsche Juristinnenbund und Amnesty International. Im Rahmen eines Fachgespräches übergab TDF am 9. Mai 2016 dem Bundesjustizministerium die gesammelten Unterschriften.
Oktober 2015
2014 veröffentlichte UNICEF eine Untersuchung[v], nach deren Schätzung zum damaligen Zeitpunkt 700 Millionen Frauen auf der Welt lebten, die minderjährig verheiratet wurden – 280 Millionen weitere Mädchen waren gefährdet. Die Weltgemeinschaft war zum Handeln aufgerufen.
Am 11. Oktober 2015 nahm TERRE DES FEMMES dies zum Anlass eine Unterschriftenaktion zu starten, mit der sie die Bundesregierung aufforderte, sich für das Ende von Frühehen einzusetzen. Denn auch in Deutschland waren bis dato Eheschließungen mit 16 Jahren mit Zustimmung des Familiengerichts möglich.
Forderungen bezüglich der geforderten Gesetzesanpassungen
In Bezug auf die geplanten Gesetzesänderungen hat TERRE DES FEMMES mehrere Forderungen formuliert. Um nur einige zu nennen:
- Mädchen und Frauen, die ihre ehemals nichtige Frühehe „fortsetzen“ wollen, sollten im Vorfeld bei Bedarf betreut und verpflichtend eine spezifische Beratung wahrnehmen. Die Fortsetzung der Ehe darf auf keinen Fall mit Erreichen der Volljährigkeit automatisch erfolgen.
- Die Jugendämter sollten auch Mädchen beraten und betreuen, die kein Ehezertifikat vorlegen können, die aber durch eine religiöse oder traditionelle Handlung – die darauf gerichtet ist, eine der Ehe vergleichbare dauerhafte Bindung zweier Personen zu begründen – mit einem Mann verbunden wurden und sich durch Selbsteinschätzung als „verheiratet/verlobt“ wahrnehmen.
- Klare Handlungsleitfäden auf Bundes-, Landes-und kommunaler Ebene sowie spezifische verpflichtende Schulungsangebote für relevante AkteurInnen
Weitere Forderungen sowie die damit verbundenen Erläuterungen finden Sie hier
Hier gelangen Sie zu allgemeinen Forderungen des Referats „Gewalt im Namen der Ehre“
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[i] Bundesverfassungsgericht: Beschluss des Ersten Senats vom 1. Februar 2023 - 1 BvL 7/18.
[ii] BMJV: Gesamtauswertung zur Evaluierung des Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen, 2020.
[iii] TERRE DES FEMMES: Umsetzung des Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen – Eheaufhebungsverfahren in den einzelnen Bundesländer, 2019. PDF-Dokument
[iv] Deutscher Bundestag: Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD.
Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen, 2017, Drucksache 18/12086, S. 20.
[v] UNICEF: Ending child marriage. Progress and prospects, New York 2014.