Hintergrund Ukraine 

Das Misto Dobra-Team bespricht die Begleitung der Schutzsuchenden ©Misto Dobra.

Seit der russischen Invasion am 24. Februar 2022 herrscht in der Ukraine Krieg. Zwischen Februar 2022 und Februar 2023 sind nach Schätzungen von UNHCR rund 18,6 Millionen Menschen aus der Ukraine geflüchtet. Laut IOM sind weitere 3,7 Millionen innerhalb der Landesgrenzen auf der Flucht (Stand September 2023). Die meisten davon kommen aus der Ostukraine, die am stärksten von den Kriegshandlungen betroffen ist.  

Auswirkungen des Krieges  
Der Krieg hat sehr viel Leid über die ukrainische Bevölkerung gebracht und zehrt ganz erheblich an den Kräften der Menschen. Immer wieder ist von einer „Zermürbungstaktik“ Russlands die Rede – ein Ende der Angriffe ist bislang nicht in Sicht. Die Spuren der russischen Angriffe, v.a. zerstörte Infrastruktur und verminte Straßen, verhindern eine ausreichende Gesundheits- und Lebensmittelversorgung. Die in den Kriegsgebieten ausharrenden Menschen leben unter prekären Bedingungen, der Zugang zu Medikamenten, Lebensmitteln und Wasser ist stark eingeschränkt. UNHCR-Schätzungen zufolge werden 2024 weiterhin 14,6 Millionen Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen sein. Zerstörte Energieanlagen erschweren landesweit die Wärmeversorgung. Viele Menschen leben in Unterkünften, die keinen geeigneten Schutz vor den extremen Temperaturen des ukrainischen Winters bieten.   

Zudem stellt der Krieg eine große Gefahr für werdende Mütter und Mütter kurz nach der Entbindung dar. Immer wieder müssen Geburten in Kellern oder Bunkern, die durch Krankenhauspersonal notdürftig mit Matratzen und Decken ausgestattet sind, stattfinden. Schwangere, die keinen Zugang zu medizinischer Versorgung haben, sind häufig gezwungen, ihre Kinder zu Hause allein zur Welt zu bringen – im besten Fall mit telefonischer Schritt-für-Schritt Begleitung durch ÄrztInnen.  


Geschlechtsspezifische Gewalt als Kriegswaffe  
Geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen wird auch in der Ukraine als Kriegswaffe eingesetzt. Seit Januar 2023 ermittelt die ukrainische Staatsanwaltschaft in insgesamt 155 angezeigten Fällen von sexualisierter Gewalt an Mädchen und Frauen durch russische Soldaten. Die Dunkelziffer sexualisierter Übergriffe wird weitaus höher geschätzt. 

Medizinische Hilfskräfte, die geflüchteten Frauen an der polnischen Grenze bei einer ungewollten Schwangerschaft oder Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt zur Seite stehen, berichten, dass ein Großteil der Betroffenen über das Erlittene schweigt. Besonders dem Risiko von sexualisierter Gewalt ausgesetzt sind binnengeflüchtete Frauen, Frauen, die sich in russisch besetzten Regionen im Osten und Süden des Landes aufhalten, sowie Frauen mit Behinderung oder aus marginalisierten Roma-Gemeinschaften. An den Landesgrenzen ist die Gefahr von sexualisierter Ausbeutung durch Menschenhandel für Frauen hoch. 

Häusliche Gewalt vor dem Krieg  
Eine OSCE-Untersuchung aus 2019 kam zu dem Ergebnis, dass zwei Drittel (66 Prozent) der Frauen in der Ukraine mindestens einmal in ihrem Leben von Gewalt durch den eigenen Partner betroffen waren. In den meisten Fällen handelte es sich um psychische Gewalt. Über ein Viertel der Frauen hatte außerdem sexualisierte oder physische Gewalt durch einen Partner erlebt. In den letzten 12 Monaten vor der Befragung betrug der Prozentsatz der von häuslicher Gewalt Betroffenen 7,6. Im Vergleich dazu lag der Durchschnittswert in der Europäischen Union zur gleichen Zeit bei 4. 

Auch in der Ukraine war ein Zusammenhang zwischen der Pandemie und der Ausübung von häuslicher Gewalt erkennbar. Die nationale Hotline für Fälle von häuslicher Gewalt verzeichnete einen Anstieg der Anrufzahlen von 23 Prozent im ersten und 73 Prozent im zweiten Quarantäne-Monat. Nach Angaben der zuständigen Regionalverwaltung wurden im ersten Halbjahr 2020 allein in der Region Lwiw 9.019 Beschwerden wegen häuslicher Gewalt registriert. Im ersten Halbjahr 2019 waren es mit 3.294 noch rund ein Drittel weniger.  

Im Dezember 2017 wurde das Gesetz zur Bekämpfung von häuslicher Gewalt zuletzt reformiert. Auch relevante Änderungen am Strafgesetzbuch und an der Strafprozessordnung erfolgten. Trotzdem mangelt es unverändert an belastbaren Daten zu Femiziden in der Ukraine. Ukrainische Frauenrechtsorganisationen rufen immer wieder dazu auf, verlässliche Dokumentationsstrukturen zu schaffen und die juristische Aufarbeitung von Femiziden und häuslicher Gewalt zu verbessern. 

Marta Levchenko beaufsichtigt den Bau weiterer Schutzhausgebäude ©Misto Dobra.

Frauenschutzhaus Misto Dobra  
Bereits 2001 wurde die Stiftung hinter dem heutigen Frauenschutzhaus Misto Dobra (zu Deutsch: „Stadt der Güte“) in Czernowitz in der Westukraine gegründet. In den ersten fünf Jahren setzte sich diese für Lebensmittelspenden an bedürftige Familien und medizinische Notversorgung ein. Auch Bildungsprojekte zur Prävention von häuslicher Gewalt und sexueller Belästigung von Kindern fanden statt. 2016 gründete Frontfrau Marta Levchenko mit ihrem Team ein Krisenzentrum für Frauen und Kinder in Not, 2019 erfolgte der Bau des Frauenschutzhauses, in dem gewaltbetroffene Frauen und Kinder seither Zuflucht finden und auf ihrem Weg aus der Gewalt begleitet werden.  
Seit Kriegsausbruch ist die Zahl der Schutzsuchenden drastisch gestiegen. Deshalb bietet Misto Dobra nun auch anderen vulnerablen Gruppen Schutz. Dazu zählen ältere alleinstehende Frauen, behinderte und chronisch kranke Kinder, sowie Waisenkinder, deren Heime zerstört wurden. War das Schutzhaus einst für 27 Plätze angelegt, können heute durch den Bau weiterer Unterkünfte auf dem Schutzhausareal bis zu 400 Menschen Zuflucht, medizinische Versorgung und weitere Unterstützung erhalten. Aktuell beherbergt Misto Dobra rund 350 Menschen, in der Mehrzahl Frauen und Kinder. In einem der Gebäude gibt es jetzt auch einen Bombenschutzkeller, in anderen Häusern konnten ein Rehabilitationszentrum und ein kleines Hospiz für Kinder eingerichtet werden.  

 

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